Bei der Einführung von Wissensmanagement im Engineering stehen zunächst meist Überlegungen zu geeigneten Prozessen und zur Wahl adäquater Systeme im Mittelpunkt. Doch die Praxis zeigt, dass die Wirksamkeit von reinen IT-Lösungen Grenzen hat: Die nachhaltige Nutzung von Wissensmanagement-Systemen scheitert oft an der fehlenden Kooperation der Mitarbeiter. Begleitende vertrauensbildende Maßnahmen sind daher zentral für den Erfolg, werden aber erschreckend oft überhaupt nicht in die Planung mit einbezogen. So entstehen lediglich Datenbank-Ruinen, in denen hochspezialisiertes Ingenieurswissen begraben liegt, statt es unternehmensweit gewinnbringend zu kommunizieren.
Das liegt an der Art, wie Kommunikation im Wissensmanagement abläuft. Anstelle eines Wissensaustauschs im Gespräch von Angesicht zu Angesicht tritt der anonyme Transfer von Wissen mithilfe einer von vielen Mitarbeitern tatsächlich als ?Killer? empfundenen Applikation. Da Wissen gerade in hochindustrialisierten Gesellschaften ein entscheidender Wettbewerbsvorteil ist, wird die Eintragung von persönlichen Erfahrungen und individueller Expertise in eine Datenbank als Machtverlust empfunden, der vor allem in wirtschaftlich schwierigen Zeiten mit der Gefahr, auch den Arbeitsplatz zu verlieren, gleich gesetzt wird. Mitarbeiter haben Angst, mit der für sie zeitaufwändigen Kooperation lediglich die Karriere von Trittbrettfahrern zu fördern und selbst ersetzbar zu werden, wenn ihr Wissen zu allgemein zugänglicher ?Billigware? verkommt. Darüber hinaus fürchten sie eine stärkere Kontrolle durch das Management. Schließlich sehen viele den Nutzen eines firmenweiten Wissensmanagements für die eigene Arbeit nicht. Doch gerade durch die Integration der gesamten Wertschöpfungskette stellt Wissensmanagement sicher, dass die in einem Unternehmen vorhandenen heterogenen Nutzergruppen unabhängig von ihren spezifischen Anwendungsfällen über das gleiche reden. So wird Information z.B. vom Marketing oder Customer Support ans Engineering zielgerichteter und kann Weiter- oder sogar Neuentwicklungen erleichtern.
Um für derartige Innovationsprozesse Verständnis zu schaffen und die Mitarbeiter zur Kooperation im Wissensmanagement zu motivieren, reicht die Implementierung eines IT-Systems nicht aus, und sei es noch so intuitiv bedienbar und effizient in der Generierung von verwendbaren Anfrageresultaten. Zwar ist die Benutzerfreundlichkeit eine zentrale Systemanforderung, doch darüber hinaus sind weitere Mechanismen für das Akzeptanzmanagement wichtig.
Das beginnt bei Weiterbildungsmaßnahmen, die den Nutzern sofort das methodische Handwerkszeug zur Bedienung der neuen Applikationen vermitteln und in Zukunft Förderung entsprechend der persönlichen Stärken in Aussicht stellen, also Wissen mit Wissen bezahlen. Auch sind Vorschriften denkbar, die bestehende Geschäftsprozesse an die Nutzung der Werkzeuge koppeln. Schließlich ist die Einführung von Anreizsystemen sinnvoll, die entweder die Eingabe oder den Abruf von Informationen honorieren. Hier erzielen nicht-monetäre Anerkennungen, die auf eine Status-Erhöhung der Mitarbeiter abheben, häufig den besten Erfolg. Diese Tatsache beweist, dass soziale Faktoren für den Erfolg von Wissensmanagement entscheidend sind.
Die erfolgreiche Einführung von Wissensmanagement bedarf daher umfassender Veränderungen unternehmensweit. Dazu gehört ein Klima der Offenheit, das die Eigenverantwortung der Mitarbeiter fördert und ihnen durch frühzeitige, umfassende und durchgängige Information das Gefühl vermittelt, Teil der Corporate Identity zu sein. Die für das Wissensmanagement benötigten Kommunikationsinfrastrukturen sind lediglich der erste Schritt zur Institutionalisierung einer derartigen, auf Transparenz und Vertrauen basierenden Unternehmenskultur.
Das CYNEFIN-Sense-Making-Modell für Wissensorganisationen
Das von Dave Snowden entwickelte Modell integriert die Sozialisierung der Wissensträger, d.h. ihre Kultur und den Abstraktionsgrad ihres Wissens, in die Analyse und behandelt die Weiterentwicklung von Wissen als aktiven Faktor. Es macht deutlich, dass alle Formen von Wissen ihren Wert haben (vgl. Schütt 2004).